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Es ist kein leichtes Thema. Es ist ein kontroverses Thema. Und es ist ein Thema, das gerade auch auf dem Digitalgipfel in Frankfurt diskutiert wurde: Die EU reguliert mit dem Digital Markets Act, dem Digital Services Act, dem AI Act und der DSGVO gerade auch die amerikanischen Konzerne. Das gefällt denen natürlich gar nicht. Besonders betrübt sind sie, dass davon auch ihre Fähigkeiten der künstlichen Intelligenz betroffen sind.

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Meta und Apple wollen ihre KI-Funktionen nicht in Europa zur Verfügung stellen und machen Stimmung. Manche reden sogar von Erpressung. Wir sprechen darüber bei #9vor9 und betrachten beide Seiten: die, die regulieren wollen, und die, die freien Zugang und freie Funktionalität der KI-Plattformkonzerne fordern.

Uns kommen die Tränen, wie betrübt Mr. Cox ist


Meta’s Chief Product Officer Chris Cox beklagt in einem Interview: „Ich reise oft nach Europa und es betrübt mich sehr, wenn ich an die Dinge denke, die wir aufgebaut haben und die hier auf Probleme stoßen.“ Das Unternehmen habe Meta AI „im guten Glauben“ entwickelt, mit Blick auf europäisches Recht. Nun sorgt er sich um die Zukunft eines Marktes, in dem die beste Technologie nicht verfügbar ist.

In das Heulen und Gejammere stimmen Publikationen wie die FAZ oder Interessenverbände wie der Bitkom ein. Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst vergleicht die EU-Regulierungen mit dem „Fußballspielen mit Bleiwesten„. Die Wirtschaftsverbände warnen vor einer Überregulierung, die europäische Unternehmen im globalen Wettbewerb benachteiligt.

Reizwort Regulierung


Auf dem Digital-Gipfel 2024 in Frankfurt positionierte sich der wirtschaftsliberale Digitalminister Volker Wissing (FDP) wie zu erwarten war und versprach eine „wirtschaftsfreundliche Umsetzung der KI-Verordnung„. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) setzt den Schwerpunkt ebenfalls erwartungsgemäß etwas anders. Die Bundesregierung wolle dabei einen Spagat schaffen: Einerseits sollen die Rahmenbedingungen „innovationsfreundlich und nutzerzentriert“ sein, andererseits aber auch „rechtssicher, was kritische Anwendungen betrifft“.

Technologische Isolation Europas?


Regulierung und Rechtssicherheit. Um Gottes Willen. Die FAZ-Autoren Peter Buxmann und Patrick Bernau argumentieren in ihren Beiträgen, dass die EU-Regulierung von KI, ähnlich wie zuvor bei der DSGVO, ihr Ziel verfehlt. Statt des erhofften Wettbewerbsvorteils führt sie zu einer technologischen Isolation Europas. In den Top 10 der leistungsstärksten Sprachmodelle sind ausschließlich US-Unternehmen vertreten, europäische Hoffnungsträger wie Aleph Alpha haben aufgegeben. Besonders problematisch ist, dass die Regeln vor allem kleine und mittlere Unternehmen belasten. Die Autoren sehen die Gefahr, dass Europa durch übermäßige Regulierung den Anschluss an die globale KI-Entwicklung verliert.

Regulieren wollen Verlage wie die FAZ aber ganz sicher, dass die KI-Giganten die Texte, Archive und Quellen der FAZ und entsprechend vergleichbarer Publikationen einfach mal so zum Training ihrer KI-Modelle nutzen. Man braucht kein Prophet zu sein, dass dann ganz schnell Regulierung oder zumindest deutliche Bezahlung gefordert wird. Man hat halt seine eigenen Interessen. Nicht umsonst klagt die New York Times in den USA gegen OpenAI wegen der ungefragten Nutzung ihres Archivs für KI-Training – ein Beispiel dafür, dass auch in den USA nicht alle den unregulierten Einsatz von KI befürworten.

Der komplett freie, unregulierte Markt richtet es halt nicht


Lars und ich sind – auch als Historiker – eher auf der Seite derjenigen, die regulieren wollen. Die Geschichte der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert und viele andere Beispiele lehren, dass völlig unregulierte Märkte zu Problemen führen, die erst durch staatliche Eingriffe gelöst werden müssen. Ähnlich verhält es sich heute mit KI: Die Technologie braucht einen Rahmen, der Innovation ermöglicht, aber gleichzeitig gesellschaftliche Interessen schützt.

Sicherlich kann man dann über das Ausmaß und die Umsetzung von Regulierungen diskutieren. Doch der völlig losgelöste, wirtschaftsliberale Ansatz „der Markt wird es schon richten“ ist gerade auch bei diesem Thema keine wirklich akzeptable Alternative. Die Frage ist also nicht, ob, sondern wie Regulierung gestaltet werden muss, um Innovation und demokratische Werte in Einklang zu bringen. Der oben kritisierte Peter Buxmann plädiert für einen pragmatischen Ansatz bei der Umsetzung des AI Acts. Da nicken Lars und ich sicherlich. Doch pragmatisch heißt nicht, gerade den übermächtigen US-Konzernen alles durchgehen zu lassen.

Ein „europäischer digitaler Stack“ – schön wäre es.


Die bekannte Ökonomin Francesca Bria vertritt den Standpunkt, dass Europa ein autonomes digitales Governance-Modell als Alternative zum profitorientierten Silicon Valley und dem staatlich kontrollierten chinesischen Modell braucht. Sie fordert einen „europäischen digitalen Stack“ – eine öffentliche digitale Infrastruktur, die grundlegende Dienste wie digitale IDs, Zahlungssysteme und Datenplattformen bereitstellt.

Die Idee ist gut, alleine fehlt der Glaube, dass die Europäer willens und in der Lage sind, so etwas ohne endlose Diskussionen und Bürokratenstreit schnell in Angriff zu nehmen und zu realisieren. Projekte wie GAIA-X stehen als Mahnmal am Horizont. Trotzdem, als Europäer und Deutsche aufzugeben, gilt ebenso wenig wie sich auch beim Thema KI bedenkenlos den US-Konzernen oder gar anderen Playern auszuliefern.

Übrigens bleibt der europäische Markt natürlich für Tech-Konzerne wie Meta und Apple wichtig. Apple hat schon einen „Rückzieher“ gemacht und aktuell angekündigt, im April 2024 seine KI-Funktionen doch auch in Europa einzuführen.

stefanpfeiffer.blog/2024/10/30…

#9vor9